Eine Zürcher Firma will CO2 aus der Luft wieder zu Treibstoff machen – und die Swiss wird als erste Airline damit fliegen

Flugverkehr ohne Umweltverschmutzung: Nichts weniger als dieses grosse Ziel hat sich ein ETH-Spin-off auf die Fahne geschrieben. Aber noch ist es nicht so weit.

Oliver Camenzind
Drucken
Die Swiss wird als erste Fluggesellschaft der Welt mit Synhelion-Treibstoff abheben. Bis es so weit ist, muss die Produktion aber noch erheblich gesteigert werden.

Die Swiss wird als erste Fluggesellschaft der Welt mit Synhelion-Treibstoff abheben. Bis es so weit ist, muss die Produktion aber noch erheblich gesteigert werden.

Christian Beutler / Keystone

Wer mit dem Flugzeug reist, für den ist die Welt deutlich kleiner als für andere. New York ist in neun Stunden erreichbar, London liegt nur gut 100 Minuten entfernt. Wer mit dem Flugzeug unterwegs ist, hat sich aber auch zu rechtfertigen. Und zwar nicht nur für die entstehenden CO2-Emissionen. Spätestens seit dem russischen Einfall in der Ukraine ist auch die Abhängigkeit von ölfördernden Staaten vermehrt ein Thema.

Doch nun macht eine junge Zürcher Firma von sich reden, die diese Diskussionen möglicherweise beenden könnte: Das ETH-Spin-off Synhelion hat sich zum Ziel gesetzt, synthetisches Kerosin aus nichts als Luft und Sonnenlicht herzustellen. So könnten Flugreisen klimaneutral werden. Und Treibstoffe könnten überall dort produziert werden, wo die Sonne häufig scheint.

Von dieser Idee überzeugt ist auch die Schweizer Fluggesellschaft Swiss. Sie hat Anfang März angekündigt, als erstes Unternehmen in der Branche mit Treibstoffen von Synhelion abheben zu wollen. Man nehme damit eine «Vorreiterrolle» ein, schrieb die Swiss in einer Medienmitteilung. Doch weshalb sollten Fluggesellschaften überhaupt noch auf Antriebe mit Verbrennungsmotoren setzen – jetzt, da die ganze Welt von Elektroantrieben spricht?

Auch künftige Batterien können mit Kerosin nicht mithalten

Ein modernes Kurz- und Mittelstreckenflugzeug wie der Airbus A320 neo darf beim Abflug maximal 79 Tonnen wiegen. Um eine solche Masse auf über 800 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen und danach mehrere hundert Kilometer weit zu bewegen, brauchte es gemäss Berechnungen von Synhelion Akkus von enormen Ausmassen. So müsste in einen Airbus A-320 neo eine Batterie mit einem Gewicht von über 1000 Tonnen eingebaut werden. Selbst wenn sich die Leistungsfähigkeit der Akkus noch steigern sollte, wären sie für Flugzeuge viel zu schwer.

Demgegenüber enthalten flüssige Treibstoffe wie Kerosin gemäss Murer im Verhältnis zu ihrem Volumen bis zu sechzig Mal so viel Energie wie heutige Lithium-Ionen-Batterien – und im Verhältnis zu ihrem Gewicht sogar bis zu hundert Mal so viel Energie. Geht der Plan von Synhelion also auf, dann könnten bestehende Flugzeuge weiterhin von den Vorteilen herkömmlicher Treibstoffe profitieren – und ohne Änderungen an den Triebwerken CO2-neutral unterwegs sein.

Für die Swiss ist das ein Quantensprung. Bereits seit zehn Jahren engagiere man sich «intensiv für Forschung und Einsatz» von nachhaltigen Flugtreibstoffen, schreibt die Fluggesellschaft auf Anfrage. Synhelion habe nun eine «Schlüsseltechnologie» entwickelt, deren Potenzial theoretisch ausreichen könne, um den Bedarf des globalen Luftverkehrs zu decken.

Wann es so weit sein wird, dass das erste Passagierflugzeug unter Schweizer Flagge mit Sprit aus Sonne und Luft abhebt, scheint jedoch noch unklar zu sein. Jedenfalls macht das Unternehmen dazu keine Aussage.

Flugtreibstoff aus Luft und Sonnenlicht

Kerosin, mit dem Flugzeuge normalerweise betankt werden, ist ein Stoffgemisch aus Kohlenwasserstoff, besteht also aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Diese Elemente kommen in Form von Wasser (H2O)und Kohlendioxid (CO2) auch in der Luft vor. Die Technologie von Synhelion sieht nun vor, diese Stoffe aus der Umgebungsluft zu filtern und in einer Art Reaktor zu künstlichem Kerosin reagieren zu lassen.

Das erste notwendige Aggregat stammt ebenfalls aus den ETH-Laboratorien und hat bereits für Aufmerksamkeit gesorgt. Das Spin-off Climeworks entwickelt Anlagen, die Kohlendioxid in grossen Mengen aus der Luft filtern können. Dieses CO2 wird meistens in Tiefenlagern gespeichert, wo es langfristig wieder zu Gestein wird. So kommt es nicht mehr in die Atmosphäre zurück.

Statt das Kohlendioxid zurück in die Erde zu geben, will es Synhelion wieder zu Treibstoff verarbeiten, indem der Verbrennungsprozess umgekehrt wird: Entstehen bei der Verbrennung Hitze, CO2 und Wasserdampf, soll im Synhelion-Reaktor aus Hitze, CO2 und Wasserdampf wieder brennbarer Treibstoff entstehen.

Das Problem an diesem Vorgehen: Damit die Reaktion klappt, muss Wasser zunächst in reinen Wasserstoff und Kohlendioxid zu Kohlenmonoxid gespaltet werden. Und das braucht enorm viel Energie. Und: Soll das synthetische Kerosin emissionsfrei sein, muss diese Energie für diese Aufspaltung aus nachhaltigen Quellen kommen.

Die Ingenieure von Synhelion haben sich eine elegante Lösung für diese Schwierigkeiten ausgedacht: einen Reaktor, der mit Hochtemperatur-Solarwärme betrieben wird. Ein Spiegelfeld bündelt die Energie von einfallendem Sonnenlicht in einem Brennpunkt und erzeugt so eine Temperatur von 1500 Grad Celsius. Erst bei dieser Hitze kann die Aufspaltung der Ausgangsstoffe Wasser und Kohlendioxid ablaufen.

Bei dieser Reaktion kommt das Herzstück des Synhelion-Reaktors zum Einsatz – ein Ring aus dem keramischen Feststoff Ceriumoxid. Dieser entzieht durch eine chemische Reduktion dem CO2 und dem H2O je ein Sauerstoffatom, so dass sich Wasserstoff und Kohlenmonoxid zu Synthesegas vermischen. Daraus können durch standardisierte Verfahren wie die Fischer-Tropsch-Synthese Kerosin, Methanol, Benzin oder andere flüssige Kohlenwasserstoffe hergestellt werden.

«Einige tausend Liter» klimaneutrales Kerosin wird Synhelion in der Demonstrationsanlage Jülich pro Jahr herstellen. Gut zu sehen sind hier die Spiegel, die auf den Reaktor im Turm ausgerichtet sind.

«Einige tausend Liter» klimaneutrales Kerosin wird Synhelion in der Demonstrationsanlage Jülich pro Jahr herstellen. Gut zu sehen sind hier die Spiegel, die auf den Reaktor im Turm ausgerichtet sind.

PD

Von einem Deziliter am Tag zu 50 Milliarden Litern jährlich

Der enorme Vorteil an der Lösung von Synhelion ist die Tatsache, dass bei der späteren Verbrennung des Treibstoffs nur so viel Kohlendioxid freigegeben wird, wie der Luft zuvor entnommen wurde. Damit ist die Verbrennung des Kerosins CO2-neutral. Der Nachteil ist, wie häufig bei alternativen Technologien, der noch sehr hohe Preis.

Auf dem Dach des ETH-Maschinenlabors in Zürich haben Professor Aldo Steinfeld und die späteren Gründer von Synhelion einen Prototypen ihres Sonnenreaktors aufgebaut. Mit ihm bewiesen sie, dass ihr Konzept nicht nur in der Theorie funktioniert. Sie füllten tatsächlich die ersten Fläschchen mit umweltfreundlichem Kerosin. Aber eben: Fläschchen. Keine Kanister, und schon gar keine Tanklastwagen.

Mit dem Zürcher Prototypen produzierte die Forschungsgruppe während einer Testphase 2019 nicht einmal einen Deziliter synthetischen Sprit pro Tag. Das ist nicht gerade viel in Anbetracht der über 2000 Liter, die etwa ein Airbus A320 neo in der Stunde verbrennt. In einer neuen Demonstrationsanlage im deutschen Jülich will Synhelion deshalb in eine neue Grössenordnung vordringen: 2000 Spiegel stehen dort nebeneinander und bilden eine Gesamtfläche von acht Hektaren. So sollen 2023 «einige tausend Liter» Kerosin entstehen, wie Carmen Murer erklärt.

Kerosin wird in enormen Mengen verbraucht und ist mit weniger als einem Franken pro Liter vergleichsweise günstig. Da kann das klimaneutrale Konkurrenzprodukt im Moment noch nicht mithalten. Doch entmutigen lässt sich Synhelion davon nicht. Carmen Murer sagt: «Unser Ziel ist es, bis 2030 ein jährliches Produktionsvolumen von rund 875 Millionen Litern Solarkerosin zu erreichen.» Das entspreche der Hälfte dessen, was in der Schweiz verbraucht wird. Bis 2040 soll aus Anlagen von Synhelion, die bis dahin in sonnigeren Gegenden als Jülich stehen werden, 50 Milliarden Liter Kerosin fliessen. Damit könne man die Hälfte des europaweiten Bedarfs decken, so Murer.

Erwartete Skaleneffekte

Während das Produktionsvolumen steigt, soll der Preis sinken. Das Ziel ist gemäss Carmen Murer, dass das synthetische Kerosin dereinst gleich günstig oder gar günstiger wird als mineralölbasiertes – je nachdem, wie sich der Kerosinpreis entwickle. Und in dieser Hinsicht hat Synhelion gute Chancen, wenn sich der gegenwärtige Trend fortsetzt. Im März 2022 kostete Sprit für Flugzeuge zum ersten Mal seit der Finanzkrise 2008 wieder über 4 Dollar pro Gallone.

Nach dem Preis gefragt, betont man bei der Swiss, wie wichtig die Skalierbarkeit der Technologie sei. Im Moment sei der Preis für nachhaltige Treibstoffe vier- bis sechsmal so hoch wie für herkömmliches Kerosin. Steige jedoch das Produktionsvolumen, führe das zu mehr Wettbewerb und letztlich sinkenden Preisen, so hofft die Fluggesellschaft.

Und die Swiss betont: Wer bereits heute klimafreundlich unterwegs sein will, könne seine CO2-Emissionen ja freiwillig kompensieren.

NZZ Live-Veranstaltung:
Ressource oder Bedrohung? Unser Verhältnis zur Umwelt im Wandel

Es ist die grosse Frage unserer Zeit: Werden wir dem Klimawandel mit technologischen Lösungen begegnen oder werden wir unseren Lebensstil ändern müssen? Wie hat sich unsere Vorstellung der Natur geändert?
24. Mai 2022, 19:00 Uhr, Kosmos, Zürich
Tickets und weitere Informationen finden Sie hier

Weitere Themen