Synthetischer Sprit soll Verbrenner am Leben halten

Um die ambitiösen Klimaziele des Pariser Abkommens zu erfüllen, reicht es nicht, neu immatrikulierte Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch Elektroautos zu ersetzen. Synthetische Treibstoffe könnten schon bald eine wichtige Rolle spielen.

Stephan Hauri
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Solarturm des Forschungszentrums IMDEA Energy nahe Madrid: Das Spiegelfeld konzentriert Sonnenlicht auf die Spitze des Solarturms, wo die erzeugte Solarwärme für die Herstellung von synthetischen Treibstoffen genutzt wird.

Solarturm des Forschungszentrums IMDEA Energy nahe Madrid: Das Spiegelfeld konzentriert Sonnenlicht auf die Spitze des Solarturms, wo die erzeugte Solarwärme für die Herstellung von synthetischen Treibstoffen genutzt wird.

Synhelion

Im Rahmen einer Lebenszyklusanalyse haben die Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV) und die Unternehmensberatung Frontier Economics die CO2-Emissionen betrachtet, die aus der Herstellung der Autos und deren Nutzung, aber auch aus der Erzeugung und Bereitstellung der Energieträger resultieren.

Unter dem Strich ergab die Untersuchung, dass sich die kumulierten CO2-Emissionen zwischen den verschiedenen Kombinationen von Energieträgern und Antrieben lediglich um 14 Prozent unterscheiden. «Daraus kann man schliessen», kommentiert der FVV-Geschäftsführer Dietmar Goericke, «dass die Antriebsform nur einen geringen Anteil daran hat, ob die Klimaziele erreicht werden. Vielmehr kommt es darauf an, wie schnell wir es schaffen, aus der Nutzung fossiler Energieträger auszusteigen.»

Je nach Strommarkt ist es nämlich auch möglich, dass der CO2-Ausstoss eines Batterieautos in der Well-to-Wheel-Betrachtung bis 100 Gramm pro Kilometer oder mehr betragen kann. Auf der andern Seite liesse sich ein Auto mit nachhaltig hergestelltem synthetischem Treibstoff sehr schadstoffarm und CO2-neutral betreiben. Es gelte also, Lösungen zu finden, um die CO2-Emissionen der Bestandsflotte schnell zu senken. «Dies ist aus heutiger Sicht nur möglich, wenn es gelingt, synthetische Treibstoffe rasch in den Markt zu bringen», betont Goericke.

Auch Björn Noack, Director Sustainable Mobility Strategy bei Bosch, weist auf die lange Verweildauer von Verbrennerfahrzeugen auf der Strasse hin. Laut seinen Berechnungen werden um das Jahr 2030 noch rund 80 Prozent der im Verkehr zugelassenen Fahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor ausgestattet sein. All diese Fahrzeuge benötigten noch riesige Mengen Treibstoff. Deshalb sollten die fossilen Treibstoffe sukzessive durch Synfuels ersetzt werden, denn ohne diese seien die Klimaziele nicht zu erreichen, meint Noack.

In der FVV-Studie wird allerdings auch festgehalten, dass die Einführung von E-Fuels für die Energiewirtschaft mit grossen Herausforderungen verbunden wäre. Es heisst dort, dass «eine hundertprozentige Umstellung der PKW-Flotte auf synthetische Treibstoffe den Energiebedarf verglichen mit rein batterieelektrischer Mobilität um das Drei- bis Vierfache erhöhen würde». Kämen die Treibstoffe aber aus besonders sonnen- und windreichen Regionen, würde sich der Bedarf nur um den Faktor zwei bis drei erhöhen.

Gesetzliche Hindernisse

Hinderlich für die wirtschaftlich interessante Entwicklung einer Power-to-Liquid-Produktion ist jedoch der Umstand, dass die EU für die CO2-Flottenziele nur den Fahrbetrieb berücksichtigt, also die Tank-to-Wheel-Bilanz. Deshalb fehlt Unternehmen noch der Anreiz, in Infrastruktur und Produktion zu investieren. Würde das bei der Treibstoffherstellung aufgenommene CO2 in einer Well-to-Wheel-Betrachtung eingerechnet, könnten sich Investitionen lohnen.

Die Vorteile synthetischer Treibstoffe sind klar: Zum einen könnten die vielen Millionen benzin- und dieselbetriebenen Autos ohne weitere technische Modifikationen und unter Beibehaltung der heutigen Infrastruktur mit Synfuels betankt werden, was ihre Schadstoff- und CO2-Emissionen von einem Tag auf den andern auf ein Minimum senken würde. Zum andern gibt es viele Verkehrsmittel, die für den batterieelektrischen Antrieb wenig geeignet sind. Schiffe, Flugzeuge und Trucks für den Güterferntransport auf der Strasse dürften noch während vieler Jahre auf flüssige Treibstoffe angewiesen sein, weil diese mit hoher Energiedichte speicherbar sind. Im Weiteren werden sich auch Besitzer von klassischen Fahrzeugen oder Rennwagen freuen, wenn sie weiterhin Flüssigtreibstoffe tanken könnten.

E-Fuels, Synfuels und Solar Fuels

Zu den künstlich hergestellten Treibstoffen zählen Kohlenwasserstoffe mit den Bezeichnungen Bio-Fuels, E-Fuels sowie Power-to-Gas und Power-to-Liquid, zusammenfassend auch Synfuels genannt. Diese Treibstoffe werden entweder auf Basis von Biomasse oder elektrolytisch erzeugtem Wasserstoff hergestellt und können in reiner Form oder als Beimischung in Diesel-, Benzin- und Gasmotoren genutzt werden und zu einer deutlich besseren CO2-Bilanz führen, da das emittierte CO2 vorher bei der Produktion aufgenommen wurde.

Das Treibhausgas CO ist bei der Herstellung der Synfuels ein Rohstoff, der sich zusammen mit Wasserstoff (H2) über ein Synthesegas durch Methanisierung, Fischer-Tropsch-Verfahren oder Methanolsynthese sowie weitere Veredelungsschritte zu E-Benzin, E-Diesel, E-Kerosin oder E-Methan verarbeiten lässt. Das CO2 kann aus industriellen Anlagen, aus Biomasse oder aus der Umgebungsluft stammen. Etwas spezieller sind die Solar Synfuels. So nennen die Entwicklerfirmen Synhelion und Climeworks ihre Treibstoffe, die ohne den Umweg über grünen Strom allein aus Sonnenwärme und Umgebungsluft erzeugt werden (Sun-to-Liquid).

Herstellkosten und Literpreise

Aufgrund der geringen Produktionsmengen, der teuren Herstellverfahren und fehlender Fördermassnahmen ist nicht von einem baldigen grossflächigen Einsatz der Synfuels auszugehen. Zudem rechnet beispielsweise das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für das Jahr 2030 mit einem Literpreis von mehr als 4 Euro 50. Allerdings gehen die Schätzungen davon aus, dass sich der Literpreis zwischen 1 und 2 Euro einpendeln könnte, wenn die Treibstoffe direkt dort produziert würden, wo günstig erneuerbarer Strom generiert werden kann.

Zurzeit gibt es verschiedene Projekte für Anlagen zur Herstellung von Synfuels an geeigneten Orten. Porsche hat zusammen mit den Partnern Siemens Energy und Exxon Mobil den Bau einer kommerziellen Pilotanlage zur Herstellung von nahezu CO2-neutralen synthetischen Treibstoffen in Chile begonnen. Schon im laufenden Jahr sollen rund 130 000 Liter für den Einsatz in den eigenen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren erzeugt werden. Auch Porsche rechnet vorerst mit einem Literpreis von etwa 4 Euro 50.

Das Engineering-Unternehmen Obrist aus Lustenau plant ebenfalls ein riesiges Solarkraftwerk in einer besonders sonnenreichen Gegend, weil sich beispielsweise in Saudiarabien mit der Sonnenenergie von jährlich bis zu 2700 kWh pro Quadratmeter und einer 10 Quadratkilometer grossen Solaranlage 400 000 Tonnen E-Methanol herstellen liessen. Für die Produktion von einem Kilogramm E-Methanol sind laut Obrist 2 Kilogramm Meerwasser, 3,4 Kilogramm Luft und rund 12 kWh Strom notwendig. Gleichzeitig würden dabei 1,5 Kilogramm Sauerstoff anfallen. Da Methanol eine Energiedichte von 5,6 kWh/kg besitzt, würden rund 47 Prozent der eingesetzten Solarenergie im synthetischen Treibstoff stecken.

Das schweizerische ETH-Spin-off-Unternehmen Synhelion stellt synthetischen Treibstoff mit Solarwärme sowie H2O und CO2 her. Wasser und Kohlendioxid werden dabei mit dem Direct-Air-Capture-Verfahren von Climeworks direkt der Umgebungsluft entzogen. Zur Entwicklung in der näheren Zukunft sagt Philipp Furler, Co-CEO und Mitgründer von Synhelion: «Seit wir 2019 auf dem Dach der ETH Zürich die erste solare Miniraffinerie präsentiert haben, hat sich viel getan. Wir haben die Technologie skaliert und die Einzelkomponenten in relevanter Grösse getestet, und wir haben die Finanzierung für die nächsten Schritte sichergestellt.»

Noch im laufenden Jahr wird Synhelion die weltweit erste industrielle Anlage zur Herstellung von Solartreibstoff bauen, der Start der Treibstoffproduktion ist für 2023 geplant. Parallel dazu läuft die Planung der ersten kommerziellen Anlage in Spanien. «Bis 2030 möchten wir jährlich rund 875 Millionen Liter Treibstoff herstellen. Damit könnten wir zum Beispiel die Hälfte des Schweizer Kerosinbedarfs oder rund 15 Prozent des Benzin- und Dieselkonsums abdecken. Für das globale CO2-Budget ist dies natürlich nur ein Tropfen auf den heissen Stein, für die Schweiz würde es aber bereits eine signifikante Reduktion der CO2-Emissionen bedeuten.»

Vorsichtig nimmt der Synhelion-Chef auch Stellung zur Preisfrage: «Für uns ist klar, dass unsere Solartreibstoffe langfristig kompetitiv mit fossilen Treibstoffen sein müssen, damit sie grossflächig zum Einsatz kommen. Damit man dorthin kommt, muss man Grossanlagen bauen. Bis 2030 haben wir das Ziel, die Produktionskosten auf rund einen Franken pro Liter zu senken. Im Vergleich mit anderen Methoden der Herstellung von synthetischen Treibstoffen ist dies sehr kompetitiv.»

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